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Yanis Varoufakis: “Star Trek ist humanistischer Kommunismus”

Lukas Ondreka December 31, 2018

Yanis Varoufakis war das Gesicht der Griechenlandkrise. Jetzt ist der Ex-Finanzminister zurück - ausgerechnet in Deutschland. Zur Europawahl will er sich hier wählen lassen. Varoufakis im Gespräch über Deutschland, Europa und Science Fiction.

Dissens: Die Europawahlen stehen an, in Deutschland wird am 26. Mai gewählt. Und wenn die Menschen wollen, können sie einen gebürtigen Griechen wählen. Yanis, Sie sind Spitzenkandidat der Partei Demokratie in Europa für die Wahl zum Europäischen Parlament in Deutschland. Demokratie in Europa ist einer der europäischen Wahlflügel der transnationalen Bewegung Diem25 - Democracy in Europe Movement 2025. Warum treten Sie in Deutschland an?

Varoufakis: Meine Kandidatur ist ein Symbol dafür, dass es keinen Kampf zwischen Deutschland und dem Rest Europas gibt. Sondern einen Kampf zwischen progressiver Politik und autoritärer Politik. Europa steckt in einer Systemkrise, die uns alle unterschiedlich betrifft. Deutschland ist das Herz Europas. Hier muss eine transnationale demokratische Bewegung Fuß fassen. Ansonsten werden wir scheitern. Deutschland ist für Europa das, was Rom für das Römische Reich war.

Ist Symbol nicht eine Untertreibung? Ist das nicht ein Mittelfinger an alle Rechtsradikalen und Technokraten wie Wolfgang Schäuble?

Es ist eine Absage an beide Seiten. Wir lehnen ein fragmentiertes Europa ab, das nur durch eine gemeinsame Währung zusammengehalten wird. So möchte es Wolfgang Schäuble. Und wir wehren uns gegen alle Fremdenfeinde, Nationalisten und Rassisten. Sie nutzen den schwachen Zusammenhalt und das Politikversagen in Europa, um ihre Bevölkerungen gegeneinander aufzuhetzen.

Damit Sie in Deutschland antreten können, haben Sie und andere - man könnte sagen - die Wahlen gehackt. Sie haben die Wohnung eines Freundes in Berlin gemietet. Denn nur Menschen mit Wohnsitz in einem Landes können dort auch zur Europawahl antreten.

Ich habe nichts gehackt. Wir befolgen die Regeln. Und die sagen, dass man weit im Voraus einer Europawahl einen Wohnsitz haben muss, um in entsprechendem Land zu kandidieren. Ich habe die Wohnung eines Freundes gemietet und mich bei den Behörden angemeldet. Wir werden aber auch mindestens einen deutschen Kandidaten haben, der in Griechenland antritt. Das soll zeigen: Es gibt keinen Konflikt zwischen unseren Ländern. Ein anderes Europa ist nicht nur möglich,  es ist schon hier.

In Ihrem Heimatland  Griechenland wird dieses Jahr auch gewählt. Die von der Links-Koalition SYRIZA geführte Regierung wackelt, weshalb es vielleicht zusammen mit der Europawahl vorgezogene Wahlen geben wird. Sie haben gesagt, dass Sie auch für einen Sitz im griechischen Parlament antreten werden - für die Partei MERA25. Wenn Sie in beide Parlamente gewählt werden - für welches werden Sie sich entscheiden?

Ja, es ist sehr wichtig, dass wir transparent gegenüber den Wählern sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Griechenland im Mai gleichzeitig das europäische und das griechische Parlament gewählt werden. Als Symbol werde ich die Wahlliste von Demokratie in Europa in Deutschland anführen. Sollte ich in beide Parlamente gewählt werden, gebe ich mein Mandat im Europäischen Parlament sofort ab und konzentriere mich auf die Arbeit im griechischen Parlament.

Weil Sie dort mehr erreichen können?

Schauen Sie, Griechenland ist in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Jeden Monat verlassen Tausende junge Frauen und Männer das Land. Mein Land ist durch zehn Jahre Krise gebeutelt, es ist eine existenzielle Krise. Die Zukunft Griechenlands steht auf dem Spiel. Ich habe die Pflicht, für die griechische Bevölkerung zu kämpfen. Gleichzeitig bestehen wir darauf, der Welt zu zeigen, dass der Kampf für progressive Politik gesamteuropäisch ist. Der Kampf ist in gleichem Maße griechisch wie er deutsch ist - französisch, polnisch und so weiter.

Haben Sie schon etwas Deutsch gelernt, um die Wähler in Deutschland zu adressieren?

Ich wünschte, ich hätte die Zeit. Es ist mir sehr peinlich, dass ich kaum Deutsch spreche. Als ich klein war, habe ich wohl etwas Deutsch gesprochen. Aber Ihnen ist bestimmt aufgefallen, was Anti-Europäer sagen: Europa kann nicht funktionieren, weil es kein europäisches Staatsvolk hat. Und der Grund dafür sei, dass wir keine gemeinsame Sprache haben, im Gegensatz zu den Amerikanern etwa. Wenn sie Recht haben, dann hat Europa keine Zukunft. Ich und meine Mitstreiter sehen das anders: Es ist möglich, dass die Menschen in Europa sich als Bürger Europas wahrnehmen und gemeinsam handeln - auch ohne gemeinsame Sprache.

Erinnern Sie sich an ein paar Worte aus Ihrer Kindheit?

Ja, meine Mutter hat mir immer Ansprachen auf Deutsch gehalten. Sie hat Deutsch fließend gesprochen. In Erinnerung ist mir geblieben: (spricht deutsch) “Wir haben viel zu tun.”

Sie sind ja eigentlich ein Ökonom  und wurden mehr oder weniger durch Zufall auf die politische Bühne bugsiert. 2015 sind Sie nur - wie sie es selbst schildern - mit Widerstreben Finanzminister Griechenlands geworden. Der Rest ist Geschichte. Würden Sie eigentlich manchmal gerne die Politik hinschmeißen und wieder Wissenschaftler sein?

In einem Wort: Ja. Ich wollte niemals in die Politik. Ich war froh, obskure wissenschaftliche Artikel zu schreiben. Aber Anfang der Jahrtausendwende merkte ich, dass die Welt auf eine große Krise zusteuert. Eine Krise wie die in den 1930er Jahren, die politische Monster schaffen würde und eine Gefahr für die folgenden Generationen sein würde. Erst dann habe ich damit begonnen, über die gefährlichen Ungleichgewichte des Kapitalismus zu schreiben. Sie haben also Recht: Die Welt kennt mich nur wegen der Finanzkrise 2008 und den Auswirkungen der Krise in Griechenland. Ich wäre gerne Wissenschaftler geblieben. Aber ich bereue es nicht, meinen Hut in den Ring geworfen zu haben.

Manchmal denke ich, Sie wären besser in einem Think Tank aufgehoben als auf der politischen Bühne. Denn was Sie ja sehr gut können, ist komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge einfach erklären. Und die Linke könnten eine gute Denkfabrik gebrauchen - so wie es die Neoliberalen zum richtigen Zeitpunkt mit der Mont Pelerin Society hatten.

Wir kontrollieren nicht die Geschichte und unseren Platz in ihr. Persönlich mag ich es auch gar nicht, um Wählerstimmen zu buhlen. Aber wenn Sie sich die Mont Pelerin Society und andere neoliberale Denkfabriken anschauen: Die waren finanziell gut ausgestattet, die Linke hat das nicht. Und die Neoliberalen haben bereits für viele Jahre vor der Krise des damaligen Kapitalismus Ideen gestreut. Für die Linke ist es jetzt zu spät, wir sind mitten in einer humanitären Krise und der Klimakrise. Das ist der Moment der Wahrheit für unsere Generationen. Wir müssen auf der Straße sein, den Wahlkampagnen, den Universitäten, den Medien, um den politischen Kampf und den Kampf der Ideen zu gewinnen. Ich versuche aber Wissenschaftler genug zu bleiben, dass ich meine Ideen als Politiker immer wieder hinterfrage. Ich nenne mich gerne einen erratischen Marxisten. Man muss in seinem Denken inkonsistent sein. Jeder, der von seinen Ideen zu sehr überzeugt ist, der ist ein Fanatiker und ein Dummkopf.

Karl Marx Mantra war ja “An allem ist zu zweifeln” (De omnibus dubitandum). Das scheint wichtiger denn je zu sein.

Richtig. Und lassen Sie uns niemals vergessen, dass die Linke massive Verbrechen gegen die Menschheit und gegen sich selbst begangen hat. Der Gulag wurde erfunden, um Kommunisten verschwinden zu lassen. Wir müssen an der Linken zweifeln, als Linke. Das wollen viele Linke nicht hören. Aber schon die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg haben gesagt: Wir brauchen nicht nur die rote Fahne, sondern auch die schwarze. Rot steht für Revolution, Herzblut und Leidenschaft. Und schwarz für die Abgründe in jedem von uns.

Apropos Linke, es gibt ja bereits etablierte linke Parteien und Parteien-Bündnisse in Europa. Zum Beispiel gibt es die Europäische Linke, ein Bündnis verschiedener Linksparteien europäischer Länder. Die griechische Links-Koalition und ihr ehemaliges Zuhause SYRIZA ist Teil der Europäischen Linken. In Deutschland ist Die Linke Teil des Bündnisses. Warum brauchen wir eine weitere Linke in Europa?

Weil die Europäische Linke schrumpft und immer mehr an Relevanz verliert. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Sie haben kein gemeinsames Programm für Europa. Und die Linke in Deutschland? Es ist traurig, dass die Partei Die Linke gespalten ist. Es gibt einen Flügel, der pro-europäisch ist, wie DIEM25. Katja Kipping und andere sind meine Freunde und Genossen. Sie sind wie wir davon überzeugt, dass wir über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten müssen, um eine Europäische Union der Vielen und nicht der Wenigen zu schaffen. Aber dann gibt es eine Fraktion, die für die Auflösung der Währungsunion und der Europäischen Union ist. Und dieser Flügel ist für eine Einschränkung der Migration und der Zahl der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen können. Wenn man diese Fraktionen in Europa zusammenbringen will, endet man beim kleinsten gemeinsames Nenner. Und ein gemeinsames Programm unter diesen Vorzeichen ist sinnentleert. Angesichts der Alternative für Deutschland, die sehr klar, weiß, was sie will, ist eine solche Uneindeutigkeit haarsträubend. Fahnenflucht, könnte man sagen. Und SYRIZA in Griechenland. Alexis Tsipras und seine Regierung haben sich der Sparpolitik der EU und der Abschottung gegenüber Migranten unterworfen. Das Letzte, was die Wähler brauchen, ist eine europäische Linke, die unterschiedliche Sprachen spricht und sich in Widersprüchen verstrickt. Die Bewegung DIEM25 wollte ein gemeinsames Programm und eine Plattform bieten, um die europäische Linke wirklich zusammenzubringen. Damit sind wir gescheitert. Deswegen machen wir es jetzt selbst.

In Deutschland ist Demokratie in Europa aus Diem25 hervorgegangen. Gemeinsam mit ähnlichen DIEM25-Wahlflügeln in anderen Ländern und verbündeten Parteien haben sie sich in dem Bündnis European Spring ein Programm gegeben. Aber sind Sie offen für Fraktionen mit anderen Linksparteien im Europäischen Parlament?

Wir werden mit allen Progressiven kooperieren, das ist unsere Pflicht. Vor allem weil die Rechtsradikalen und Faschisten voraussichtlich überrepräsentiert sein werden. Wir werden niemals sektiererisch sein.

In den USA haben Sie vor Kurzem eine Progressive Internationale ausgerufen, zusammen mit dem Sanders Institut, eine Denkfabrik, die dem US-Senator und demokratischen Sozialisten Bernie Sanders nahe steht. Sanders selbst war bei der Ausrufung dieser neuen Internationale auch anwesend. Sie haben deutlich gemacht, dass die Progressive Internationale Linke in der ganzen Welt zusammenbringen soll. Eine echte Internationale gegen die Nationalistische Internationale von Donald Trump, Viktor Orban und Co. solle sie sein. Nochmal: Ist dafür nicht die Sozialistische Internationale zuständig?

Nun, die Sozialistische Internationale ist ein schlechter Witz. Es war mal eine bedeutende Bewegung, als Willy Brandt noch unter uns war. Jetzt wird sie nicht mal mehr ernst genommen von den sozialdemokratischen Parteien, die ihr vermeintlich angehören. Die anderen Progressiven in der Welt haben niemals von ihr gehört, weil sie einen traurigen Tod gestorben ist. Sehen Sie, wenn es eine progressive Internationale gegeben hätte, wäre ich ihr beigetreten. Das Letzte, was ich will, ist neue Bewegungen oder Organisationen zu gründen. Aber es gibt keine internationale Organisation, unter deren Schirm sich Progressive versammeln und zu einem umfassenden Programm kommen können. Wie lässt sich der Finanzkapitalismus zähmen? Wie bekämpfen wir Armut? Wie schaffen wir eine sozial-ökologische Wende? Diese Fragen beschäftigen Progressive in der ganzen Welt. Wenn die Sozialistische Internationale darauf Antworten hätte, wäre ich ihr beigetreten.

Gerade ist die Progressive Internationale nicht mehr als eine Internetseite mit inspirierender Ansprache und Video. Wir werden sehen, ob es gelingt, Linke Parteien, Gruppen und Bewegungen zu verbinden. Bei der Gründung war auffällig, dass nur Kollektive und Personen aus Nordamerika und Europa prominent vertreten waren. Was ist mit Lateinamerika, Asien und Afrika?  Orte, die zur Umsetzung einer progressiven Agenda auch beitragen können.

Absolut. Alles, was wir gemacht haben, war einen offenen Aufruf zu starten. Wir werden überall an Türen klopfen, um so viele progressive Kräfte wie möglich an einen Tisch zu bekommen. Alle sechs Monate werden wir uns an einem anderen Ort in der Welt treffen und versuchen, gemeinsame Antworten auf wichtige Fragen zu formulieren. Die Idee eines internationalen Green New Deal könnte eine gute Ressource für alle progressiven in der Welt sein, weil sie nicht das Rad neu erfinden müssten in Mexiko, Nigeria und Bangladesch.

Lassen Sie uns über Europa reden. Die Europäische Union scheint in einer gefährlichen Situation zu sein. Viele Schlüsselstaaten werden von rechten Regierungen geführt. Rechtspopulisten und Rechtsradikale befeuern den Unmut gegenüber der europäischen Politik und schüren Fremdenfeindlichkeit sowie Rassismus. In der Europawahl könnten Sie weiter an Boden gewinnen. Wie sind wir in diese Situation geraten?

Das Jahr 2008. Ich sage es immer wieder, weil ich davon überzeugt bin. 2008 war das 1929 unserer Generation. Wir hatten ein Geld- und Finanzsystem, das vor der Krise riesige Schuldenblase erzeugt. Und plötzlich sind diese Schulden, vor allem Schulden von Privatbanken, geplatzt, genauso wie 1929. Und genauso wie 1929 haben die Regierungen an der Macht die Last der Verluste vom Finanzsektor auf die Steuerzahler geschoben, vor allem auf die Schwächsten, die ArbeiterInnenklasse. Das hat eine riesen Unzufriedenheit erzeugt. Und wenn sich diese Unzufriedenheit paart mit dem Fehlen jeder Hoffnung und dem Fehlen einer progressiven Alternative, dann gewinnen rechte Demagogen, Fremdenfeinde und Rassisten. Der Unterschied zu den 1930er Jahren ist, dass damals das Industriekapital die Faschisten finanziell unterstützt hat, das ist heute in Europa noch nicht passiert. Glücklicherweise. Aber ich traue es unseren Oligarchen zu.

Es ist also nicht die Migration das Problem?

In Deutschland geht es 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung heute schlechter als vor 15 Jahren. Ihre Kaufkraft ist zurückgegangen. Und die Mittelschicht sieht, dass Ihre Rentenversicherung von den Negativzinsen erdrückt werden. Und das passiert in einem Land, das eigentlich im Geld schwimmt. Das ist der perfekte Nährboden für Fremdenfeindlichkeit. Dazu kommt das verbreitete Gefühl in Deutschland, dass das Land für die Mängel anderer Länder innerhalb der Währungsunion zahlt. Wenn wir eine funktionierende Union wären, dann ließen sich die Kosten teilen und die Herausforderung der Migration nüchtern meistern. Aber Europa ist führungslos, sogar Angela Merkel strahlt keine Handlungsfähigkeit mehr aus. Der Fremde wird zum Problem, weil wir es versäumt haben, die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in unseren Ländern und Europa zu stärken.

Was wäre eine funktionierende Union? Welche Alternative gibt es zur Sparpolitik und rechtem Autoritarismus?

Die Tragik der Europäischen Union ist, dass in Europa so wenig investiert wird wie noch nie in ihrer Geschichte. Wir müssen also die Wirtschaft ankurbeln, aber nicht irgendwie, sondern mit Investitionen in grüne Technologien, erneuerbare Energien, nachhaltigen Verkehr. Dinge, die wir brauchen, um unseren Planeten zu retten und gute Arbeit für die jungen Europäer zu schaffen. Die Privatwirtschaft wird das nicht leisten, sie hat zu viel Angst vor zu geringer Nachfrage. Und die Regierungen unterliegen bis auf wenige dem Sparzwang des Fiskalpaktes. Aber wir haben die Europäische Investitionsbank. Über die Ausgabe von Anleihen von jährlich einer halbe Milliarde Euro können grüne Technologien angekurbelt werden.

Also kein gemeinsamer Haushalt für die Eurozone, wie es Macron vorgeschlagen hat und vorerst gescheitert ist.

Ich bin auch für einen gemeinsamen Haushalt. Aber die Zeit ist nicht reif. Für einen gemeinsamen Haushalt brauchen wir effektiv eine demokratische Verfassung für ein föderales Europa. Darüber müssen wir reden. Aber wir beide wissen, dass wir das nicht morgen haben können. Und wenn wir es morgen starten, dann endet es in einer Sackgasse. Denn die meisten Europäer wollen weniger Europa und nicht mehr Europa, weil sie Europa nicht trauen. Wir müssen also Hoffnung kreieren und dafür bestehende Institutionen wie die Europäische Investitionsbank nutzen. Und ein europäischer Green New Deal könnte morgen mit Hilfe bestehender Institutionen und im Einklang mit den Verträgen umgesetzt werden. Nur so kann Europa im Kopf der Menschen zu einem Reich geteilten Wohlstands werden.

Der Green New Deal wird unter der Linken diskutiert. Zum einen: Wie lässt sich die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise vollziehen. Stichwort: Post-Wachstum. Und wie lassen sich auf dem Weg dorthin die ArbeiterInnen mitnehmen. Am Protest der Gelb-Westen in Frankreich lässt sich ja ablesen, dass Klimapolitik auch eine soziale Komponente hat. Was ist die Position von DIEM25 und European Spring?

Oh ja, wir wollen nicht mehr Allrad-Diesel-Fahrzeuge. Wir glauben an Wohlstand, ohne materielles Wachstum. Manches Materielles darf wachsen: Wir brauchen mehr Solaranlagen. Aber zur gleichen Zeit wollen wir mehr Sorgearbeit, mehr Bildung und ein besseres Gesundheitssystem. Wir wollen also massives Wachstum in diesen immateriellen Bereichen. Und Schrumpfung in allen Bereichen, die unsere Erde zerstören und unser Leben verschlechtern. 600 Sorten Seife, aus denen wir auswählen können, ist nichts, was unseren Wohlstand mehrt. Aber mehr Bildungsmöglichkeiten, mehr öffentliche Gesundheitsvorsorge, mehr erneuerbare Energien und nachhaltigen Verkehr. Davon wollen wir mehr. Aber das kostet Geld, weshalb wir Investitionen brauchen.

Und die Gelb-Westen?

Die Gelb-Westen haben absolut recht. Nach der Finanzkrise 2008 wurden die Schwachen verpflichtet, die Banken zu retten. Und jetzt wo der Klimawandel zuschlägt, sollen sie die Kosten tragen, die große Unternehmen wie Volkswagen und die anderen verursacht haben. Es ist richtig, dass wir sämtliche fossilen Energieträger stark besteuern müssen. Aber es kann nicht die ArbeiterInnenklasse sein, die für die Ökosteuer zahlt. Wenn man die Steuern auf Benzin erhöht wie in Frankreich, dann kümmert das die Reichen wenig. Wenn man Millionen hat, dann bemerkt man das bisschen mehr nicht. Aber wenn man gerade so über die Runden kommt, auf dem Land wohnt und das Auto für Einkäufe, den Job oder den Schulweg der Kinder benötigt, dann ist so eine Steuer vielleicht der Unterschied ums Ganze. Die Ökosteuer muss als ergänzende Sozialleistung für Menschen mit geringem Einkommen zurückgegeben werden. Das Geld können Sie zum Beispiel dafür nutzen, grüne Autos zu kaufen.

Yanis, Sie fahren ja sehr gerne Motorrad. Würden Sie das für einen nicht so coolen elektrischen und selbst-fahrenden Pod auf einer Sharing-Plattform eintauchen?

Ich muss beichten: Ich liebe es, mein Motorrad zu fahren. Ich würde es gerne mehr fahren, habe aber zu wenig Zeit. Ich habe ein super elektrisches Motorrad mit jeder Menge Pferdestärken ausprobiert. Ein autonom fahrendes Motorrad wäre nichts für mich, aber elektrisch schon. So würde ich meinen Teil für die Umwelt leisten.

Sie arbeiten gerade an Ihrem fünften Buch für die Allgemeinheit. Der Arbeitstitel ist The Shaken Superflux. In diesem Buch beschreiben Sie wie Welt in 2035 aussehen könnte. Das klingt wie Science Fiction. Geben Sie uns einen Ausblick?

Ja, mein Buch ist ein Science-Fiction-Buch. Und ich liebe Science Fiction. Fredric Jameson hat gesagt, dass Science Fiction die Archäologie der Zukunft sei. Der beste Weg, unsere Gegenwart zu erklären. Das Buch ist inspiriert von der Frage, was eine Alternative zum Kapitalismus sein könnte. Vielleicht ist der Kapitalismus ja die beste aller möglichen Welten, das wollte ich kontern. Also musste ich eine Art neue Utopie schreiben und stelle die Frage, ob unsere Technologien andere und bessere soziale Arrangements ermöglichen könnten. Stellen Sie sich eine Star-Trek-Welt vor, in der Maschinen alles für uns produzieren. Ich nutze Science Fiction: In meinem Buch spaltet sich das Raum-Zeit-Kontinuum während der Finanzkrise 2008 in zwei Dimensionen. Eine davon führt zu einer völlig anderen sozialen Organisation.

Zukunft positiv zu imaginieren scheint wichtig für die Linke. Die gegenwärtige Popkultur ist ja sehr pessimistisch, was die Zukunft angeht. In aktuellen Filmen und Serien ist die Zukunft meist eine Art Apartheid-Ghetto. Das gleiche gilt für Star Trek - ich weiß, Sie sind ein Fan. Die alten Serien haben eine optimistischen Blick auf die Zukunft, die neuen Filme und Serien dagegen sind düster. Sollten wir uns den Optimismus für eine bessere Zukunft bewahren?

Das sollten wir. Ich mag Star Wars nicht, weil es eine Art Feudalismus mit Technologie beschreibt. Star Trek ist der Inbegriff von einem Kommunismus unter Bedingungen des Überflusses. Ein humanistischer Kommunismus mit einer Fülle materieller Dinge, der es den Leuten ermöglicht, wie die griechischen Philosophen in der Agora im antiken Athen zu sitzen und über den Sinn des Lebens zu sprechen. Und das ist, wie Sie beschrieben haben, eine sehr optimistische Art, wie die Welt anders organisiert sein könnte.



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